Suffizienz im Spannungsfeld zwischen Junkfood und Öko-Snobismus

Endlich im All-Inclusive-Resort auf Kos angekommen, die Perspektive auf sieben Tage uneingeschränkten Konsum ist verheissungsvoll. Bereits 30 Minuten vor dem Startschuss zum Essensmarathon bildet sich vor verschlossenem Speisesaal eine Menschentraube. Kaum öffnen sich die Schleusen, wird ohne Rücksicht auf Verluste der Kampf um die frittierten Calamari, das Rindsgulasch und die Zitronentörtchen eröffnet. Die Teller werden gnadenlos überhäuft. Wer sollte sich schon mit weniger begnügen, wenn er mehr haben kann?

Auch wenn der Exkurs überspitzt sein mag und nicht den durchschnittlichen Nahrungsmittelverbrauch spiegelt, gibt er dennoch einen Denkanstoss. Der Lebensmittelkonsum dient in unserer Gesellschaftsschicht längst nicht mehr der Erfüllung der Grundbedürfnisse. Er ist verbunden mit egoistischen Gefühlen des Privilegs und der Macht. Nahrung ist zu einer persönlichen Ausdrucksform, einem Mittel zur Selbstverwirklichung und -darstellung geworden. Das Zelebrieren des «guten Essens» agiert als Statussymbol.

Effizienz, Konsistenz, Suffizienz – drei Ansätze für Nachhaltigkeit

Täglich werden wir konfrontiert mit den Dos und Don’ts in Bezug auf Nahrungsmittelproduktion, -verbrauch und -entsorgung. Fällt der Begriff Nachhaltigkeit, wird die Problematik des hohen Ressourcenverbrauchs meist mit den Strategien «Effizienz» und «Konsistenz», die angepasste Innovationen und die Vereinbarkeit von Natur und Technik zum Ziel haben, angegangen. Doch Konsum, der zwar effizient und konsistent ist, jedoch unbedacht und im Übermass getätigt wird, ist nicht nachhaltig. Hier kommt die dritte Nachhaltigkeitsstrategie, die Suffizienz, ins Spiel. Sie thematisiert den bewusst verminderten Konsum und besagt, dass soziale, ökologische und ökonomische Probleme ohne eine gesamtgesellschaftliche Ressourcenreduktion nicht gelöst werden können. Eine heikle Angelegenheit, ist doch unsere liberale Gesellschaft derart auf die Selbstverwirklichung ohne Einschränkungen fokussiert. Der Zwang zum Verzicht würde ein Gefühl eines Freiheitentzugs auslösen und wäre deshalb kontraproduktiv. Suffizienz bedeutet zwar weniger von allem, doch die Strategie beschreibt einen Konsum, der ausreichend ist. Sobald verzichten nicht mehr als «zu kurz kommen» wahrgenommen wird, profitieren sowohl die Umwelt als auch die Bevölkerung und das Individuum.

«Normale Normalität» als Ziel

Eine suffiziente Ernährung geht mit Genügsamkeit, der Freude an der Einfachheit und der Verabschiedung von Trendnachahmung einher. Die Entschleunigung weckt oftmals Gefühle der Selbstbestimmtheit. Denn, wer sich auf das eigene Wesen besinnt, «sich selbst genug ist», erlebt kaum diese zwanghafte Sorge, nicht rund um die Uhr auf dem Laufenden zu sein. Nachhaltigkeit bedeutet nicht «alles neu erfinden» sondern vielmehr «einmitten». Der Weg in die Nachhaltigkeit funktioniert dann, wenn der Gedanke an das Zusammenspiel von Effizienz, Konsistenz und Suffizienz verankert ist und «normale Normalität» gelebt wird. Der Mensch lebt nicht nachhaltiger, wenn er als Gegenpol zu frittierten Calamari auf Kos einen Öko-Snobismus zelebriert, der den Preis eines Feigendinkelbrötchens für fünf Franken im «Hiltl» rechtfertigt. Schlägt das Nachhaltigkeits-Pendel einmal in die entgegengesetzte Richtung aus, wird ein neuer Hype vermarktet, der wiederum die Kauflust und so gar nicht den Nachhaltigkeitsgedanken ankurbelt. In diesem Ernährungswirrwarr setzt sich manch eine*r das grüne Öko-Krönchen auf. Und lässt dabei aber ausser Acht, dass dies mehr zu tun hat mit dem Zelebrieren eines neu gelebten schicken Überflusses als mit Nachhaltigkeit.

Von Anne-Sophie Walt

Quelle:

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